rik ist wohlbehütet auf einem Bauernhof im Umland von München aufgewachsen. Anfangs bewirtschafteten seine Eltern noch mühsam die Ländereien, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Inzwischen stehen darauf große vermietete Immobilien, die der Familie ein Vermögen bescherten.
Eriks Freund Christian erging es anders. Seine Familie hatte über Jahre hinweg ein florierendes Catering-Geschäft, welches am Ende leider nur noch Arbeit und Schulden abwarf. Einige Großkunden zahlten ihre ausstehenden Beträge nicht mehr und der Familienbetrieb trudelte in die Abwärtsspirale. Christian hat das Erbe seiner Eltern abgelehnt, da er nur finanzielle Verpflichtungen geerbt hätte. Erik hingegen konnte sich über Immobilien in München freuen, die so hohe Mieteinnahmen abwerfen, dass er nicht mehr arbeiten müsste. Er tut es aber trotzdem, indem er mit den Einnahmen weitere Grundstücke und Häuser kauft. Seine Kinder werden ein noch größeres Immobilienvermögen im Nachlass vorfinden. Etwas dafür tun, müssen Kinder solcher Familien nicht.
Ist Erben ungerecht oder gerecht?
Über diese Frage streiten sich Juristen, Politiker und Privatpersonen immer wieder. Es ist ein schwieriges Thema, auf das es keine einfache Antwort gibt.
Fakt ist: In Deutschland wird seit Jahren besonders viel vererbt. Nahezu ein Drittel des kompletten Privatvermögens von elf Billionen Euro ist nicht von seinen Eigentümern in harter Arbeit erwirtschaftet worden, sondern sie haben es geerbt. Dies mag zwar den einen oder anderen Erbstreit verursacht haben, aber dafür kam eine kleine, glückliche Generation zu einem großen Reichtum. Da sich dieser allerdings auf eine überschaubare Gruppe an Personen beschränkt, entstand ganz automatisch eine ungleiche Verteilung des Privatvermögens. In kaum einem anderen Industrieland ist die Ungleichheit so groß wie in Deutschland.
Selbstverständlich kann Erbe auch verpflichten. Es kann dazu drängen, einen bestimmten Beruf auszuüben und bestimmten gesellschaftlichen Normen zu folgen. Das Geld mag zwar Freiheit bringen, aber kann diese ebenso einschränken. Auf jedem Fall ändert eine Großerbschaft die Lebensbedingungen der Erbberechtigten, wie das anfängliche Beispiel zeigt. Erik kann mit Leichtigkeit seinen Kindern die beste Ausbildung ermöglichen. Christian kann dies nicht, wodurch die nachfolgenden Generationen und ihre Startbedingungen direkt beeinflusst werden.
Verschärfen sich die Ungleichheiten durch die Erbschaften?
Von 2017 bis 2027 werden in Deutschland jedes Jahr rund 400 Milliarden Euro vererbt. Dies stellt 13 Prozent der Wirtschaftsleistung pro Jahr da. Allerdings werden nur knapp 50 Prozent aller Deutschen Vermögen im Nachlass vorfinden, während die andere Hälfte nichts erbt. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei Großerben in der Regel um Personen handelt, die bereits in einem einkommensstarken Haushalt mit hohem Bildungsstand leben. Dadurch vergrößern die Nachlässe die sozialen Unterschiede zusätzlich. Ganz deutlich wird daran die niedrige soziale Mobilität in der Bundesrepublik. Wer einkommensstarke Eltern hat, erreicht statistisch gesehen öfter einen hohen Bildungsabschluss und damit künftig vermutlich ein höheres Einkommen. Steuern werden für das Großerbe – im internationalen Vergleich gesehen – nur geringfügig gezahlt. In Ländern wie Frankreich, den USA und Großbritannien sind die vermögensbezogenen Steuern erheblich höher. All diese Faktoren tragen mit dazu bei, dass sich ein deutliches Bild abzeichnet, an dem es nichts zu rütteln gibt: Die oberen zehn Prozent der Bundesbürger besitzen zwei Drittel des privaten Nettovermögens der gesamten Bundesrepublik.
Wie viel vom Erbe sollte sich der Staat nehmen?
Immer wieder taucht diese Streitfrage in der Politik auf. Derzeit können Ehepartner eine halbe Million Euro steuerfrei vererbt bekommen. Bei Kindern beläuft sich der Betrag auf 400.000 Euro. Die Anstrengungen, wie mit Erbschaften aus staatlicher Sicht umzugehen sei, ist eine der entscheidenden Gerechtigkeitsfragen in der Historie. Die Erbschaftssteuer wird gern als Instrument für diese drei Zielsetzungen angesehen:
- gerechte Umverteilung
- Sanierung des Staatshaushalts
- Beeinflussung der Familien- und Wirtschaftspolitik
Bereits Kaiser Augustus hat im Jahr sechs nach Christus eine Erbschaftssteuer für römische Bürger implementiert. Sie belief sich auf fünf Prozent. Handelte es sich um einen Nachlass im engsten Kreis der Familie, strich er die Steuer. Auf diese Weise wollte er die reichen Stände dazu anhalten, kinderreicher zu werden.
Stößt die Soziale Marktwirtschaft bei Erbschaften an Grenzen?
Der Reichtum einer kleinen Oberschicht in Deutschland stellt nicht das eigentliche Problem dar. Politik- und Sozialwissenschaftlicher argumentieren, dass es ein schwerwiegenderes Problem gäbe: Die 40 Prozent der Bundesbürger, die über kein Nettovermögen verfügen und auch keines ersparen, denn mit dem monatlichen Einkommen wird komplett der Lebensunterhalt bestritten. Die steigenden Mietpreise in Deutschland haben diesen Trend noch verschärft. 35 Millionen Bundesbürger können sich daher nicht fürs Alter absichern, für die Bildung ihrer Kinder Rücklagen bilden oder Erspartes gewinnbringend investieren. Für Gesellschaftskritiker zeigt sich deutlich, dass der Sozialstaat diesbezüglich versagt hat, denn wenn fast die Hälfte seiner Bürger nur eine geringe wirtschaftliche Autonomie besäße, sei dies Beweis, dass er nicht erfolgreich gewesen ist. Wie so häufig diskutiert, läge dieses Scheitern an dem gesellschaftlichen und demografischen Wandel. Der Sozialstaat Deutschland ist in einer Zeit entstanden, in dem Wirtschaft und Bevölkerung stark anwuchsen. Jetzt sieht die Sachlage anders aus und das umlagebasierte Rentensystem ist nicht mehr anwendbar. Während es immer mehr Ältere gibt, verringert sich die Zahl an jungen Menschen. Sie müssen das Rentensystem mit ihren Steuerzahlungen allerdings stemmen. Zudem fallen alle die durch das Netz des Sozialstaates, die nicht dem klassischen Familienmodell entsprechen.
Ist die Erbschaftssteuer gerecht?
Christian, aus unserem Beispiel, musste den Erbschein gar nicht erst beantragen. Er wusste, dass ihm seine Eltern nur Schulden vererben würden. Erik hingegen erhielt ein beachtliches Vermögen, für das er kaum Erbschaftssteuer zahlen musste. Der Grund: Die Erbschaftssteuer in Deutschland wird extrem ungleich angewendet. Die Praxis offenbart, dass für Nachlässe über zehn Millionen Euro lediglich ein Prozent Steuer an den Fiskus abgeführt wird. Doch wieso ist dies so? Zeigen die Tabellen zur Erbschaftssteuer nicht andere Werte? Dies stimmt grundsätzlich. Jedoch handelt es sich oft um ein Betriebsvermögen, welches unter einen besonderen Schutz fällt. Damit sollen Unternehmen und damit die Wirtschaft sowie Arbeitsplätze geschützt werden. Vermacht ein Erblasser allerdings nur ein kleines Privatvermögen, zahlen die Erbberechtigten im Durchschnitt mehr als zehn Prozent Erbschaftssteuer auf den Nachlass. Einige Juristen weisen deshalb darauf hin, dass es in der Bundesrepublik eine neue Diskussion über den Gesellschaftsvertrag geben solle. Es könne nicht sein, dass eine Hälfte der Bevölkerung aus dem Raster falle und somit erheblich schlechtere Startbindungen für ein selbstbestimmtes, erfolgreiches Leben hätte.
Wie könnte Deutschland gerechter werden?
Überlegungen zu dieser Frage, existieren viele. In der Presse wurden in den vergangenen Monaten vor allem zwei Maßnahmen diskutiert, die – zusammen angewendet – das Erben gerechter und die Gesellschafter etwas »chancengleicher« machen könnten. Zum einen wird eine fairere Erbschaftssteuer gefordert, die den kleinen, privilegierten Kreis an Großerben nicht noch steuerlich übervorteilen sollte. Eine Möglichkeit, dies zu umgehen, wäre ein gleichbleibender Steuersatz, der für Erbschaften oberhalb der Freibetragsgrenzen angesetzt werden würde. Hierbei wäre es wichtig, dass diese Steuer nicht in eine Substanzbesteuerung von Familienbetrieben münden würde.
Gesellschaftswissenschaftler sehen jedoch einen anderen Schritt als noch wichtiger an: Mit einem Alter von 18 Jahren sollte jeder junge Mensch im Rahmen eines Lebenschancenkredits die Möglichkeit erhalten, staatliche Leistungen für Bildung und andere gesellschaftliche Prioritäten zu bekommen. Auf diese Weise würden die derzeit bestehenden ungleichen Startchancen etwas ausgeglichen werden.
Eine Diskussion ohne Neid
Gern wird in Deutschland die Erbschaftssteuer auch als Neidsteuer bezeichnet. Es wird auf Länder wie Schweden oder Österreich hingewiesen, in der sie aus dem Gesetzbuch gestrichen wurde. Doch aufgrund des gesellschaftlichen Umbruchs erscheint es wichtig, über die Erbschaftssteuer in Deutschland ohne Neid zu diskutieren. Es wird nie ein komplett gerechtes System geben. Es wird immer gesellschaftliche Unterschiede geben. Bedeutend ist jedoch, sie nicht zu groß und zu drastisch werden zu lassen. Niemand darf vergessen, dass mit größeren sozialen Unterschieden größere gesellschaftliche Probleme auf die Bevölkerung zukommen. Solidarität ist ein Teil des Gesellschaftsvertrags. Sozialwissenschaftler mahnen an, dass dieser Teil für die gesamte Gesellschaft gelten müsse. Dies würde auch das Leben von Christian aus unserem Beispiel erleichtern.
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